A PEACE TO END ALL PEACE?

Ich sitze hier gerade in Zürich in Covid-Isolation auf meinem privilegierten fetten weissen Hintern rum und staune Bauklötze über das, was einmal “links” hiess, und über die ach so kampferprobten Covid-Faschismus-Gegner und ihr jämmerliches, tatenloses Schweigen zum Überfall Russlands auf die Ukraine.

Besonders die Erklärung von Sarah Wagenknecht, deren wirtschaftlichen Sachverstand und messerscharfe Analyse von Machtverhältnissen im Kapitalismus ich mal sehr geschätzt habe, ist eine moralische Bankrotterklärung. Komplett empathiefrei. Und ein Dokument des besserwisserischen Starrsinns von Menschen, die unfähig sind, ihre Meinung zu ändern, wenn die Fakten sich ändern.

Gregor Gysi hingegen zeigt einmal mehr seine wahre Grösse und seinen Weitblick. Wie schade, dass er nicht Kanzler ist:

Für alle, die es noch nicht mitgekriegt haben: mit dem Angriff Russlands auf die Ukraine ist die europäische Friedensordnung der Helsinki-Schlussakte von 1975 über Nacht implodiert. Das ist jetzt wirklich der Great Reset, von dem die Covid-Schwurbler immer gefaselt haben. Aber halt auf einem Feld, wo man mit Telegram-Geschwafel nicht mehr weiter kommt.

Die Bahn frei gemacht für diese Implosion hat hat sicherlich /auch/ die Nato-Osterweiterung, wie das Wagenknecht & Co. nicht müde werden zu wiederholen. Und auch die völkerrechtswidrige Irak-Invasion 2003 muss für Putin eine Inspiration gewesen sein: eine unfassbare Katastrophe, die mit all’ ihren Folgen (Bürgerkrieg, Flüchtlingswelle, ISIS, Bürgerkrieg in Syrien) mehr Leid über die Welt gebracht als alles, was die Amis seit dem Vietnamkrieg angerichtet haben.

Aber nichts und niemand hat Jelzin, Putin & Co. dazu gezwungen, ihr eigenes Land seit 1990 durch Kleptokratie (Jelzin, Putin), Austerität (Jelzin, Putin) und militärische Aufrüstung (Putin) zu ruinieren und ihr Versagen mit zaristischen Allmachtsfantasien (Putin) und Dolchstoss-Erzählungen (Putin) zu verleugnen.

Und offenbar hat das Putin-Regime das Appeasement der Welt nach Russlands Kriegen in Georgien, der Krim, der Ostukraine und in Syrien als eine Art von Freifahrtkarte nach Kiev verstanden. Schon das unfassbare Massaker in Tschetschenien ab 1999, das Putin persönlich zu verantworten hatte und von ihm mit Sottisen wie dem Ermorden des Gegners “wie Ratten (…) auf dem Scheisshaus” garniert wurde, hatte für ihn keinerlei Konsequenzen.

Auch die Unfähigkeit Europas, eine eigene, von den USA unabhängige Interessenpolitik zu formulieren und sie mit militärischer Unabhängigkeit von der USA auch zu unterfüttern, war nicht hilfreich. I’m looking at you, Deutschland. Danke, dass Du Putins Kriegskasse so brav gefüllt hast, während ein Drittel Deiner Bevölkerung in den Niedriglohnsektor gezwungen wurde und Dein Miltär mangels Ausrüstung zur Lachnummer verkommen ist (wie ich es selbst in Afghanistan aus erster Hand erleben durfte).
Putin, der genialisch-opportunistische Taktiker, hat jetzt aber zwei schwere Fehler gemacht: er hat den Kampfeswillen der Ukrainer unterschätzt und die Spaltung Europas überschätzt (danke, liebe Covid-Schwurblis, dass Ihr ihm auch dabei geholfen habt). Insbesondere die für die ganze Welt vollkommen unfassbare 180-Grad-Wende deutscher Politik in den letzten 72 Stunden kann unmöglich Teil seiner Berechnungen gewesen sein. Und die Sperrung von Konten der russischen Zentralbank (eine finanzielle Atombombe) hat auch wirklich niemand auf dem Schirm gehabt. Mal schauen, wie viel von den 600 Milliarden Dollar Devisenreserven jetzt noch am Start sind.

Das wahrscheinlichste Ende des Konflikts ist leider eine vollständige Eroberung der Ukraine. Darunter wird Putin es nicht machen wollen, sonst ist er zu Hause am Arsch. Ich hoffe aber von ganzem Herzen, dass der unglaubliche Mut der Ukrainerinnen und Ukrainer irgendwie belohnt wird, und dass irgendjemand (Israel?) hier bald einen Waffenstillstand vermittelt. Und ich hoffe, dass der Rückhalt der Putinisten unter den Oligarchen aufgrund der finanziellen Verwüstungen irgendwann bröckelt. Das scheint mir zur Zeit das einzige Szenario zu sein, das sie stoppen kann.
Was weiter passieren wird, weiss niemand.

Meine Gedanken sind bei all den wunderbaren Menschen in der Ukraine, deren Gastfreundschaft, Humor und Robustheit ich persönlich erleben durfte. Und bei den Menschen in Russland, diesem großen Volk, dass einmal mehr nur leiden, leiden, leiden wird, weil zaristische Volltrottel an seiner Spitze, unterstützt von propagandabesoffenen Handlangern im In- und Ausland, es ins Verderben führt.

Viele von uns sind total überfordert mit dieser Situation, weil wir uns schon seit geraumer Zeit eher mit Befindlichkeiten als mit “harten” Problemen auseinandersetzen. Darum fehlt uns auch das Hintergrundwissen, um den Konflikt jenseits von “Nato böse” oder “Putin böse” einzuordnen. Und das macht Angst.

Als Angstlöser hier ein lesenswerter Text über die NATO-Osterweiterung von Thomas Friedman aus der New York Times (in deutscher Übersetzung). Und eine Analyse der russischen Innenpolitik auf Dekoder von Kirill Rogow (ebenfalls in Deutsch).

Und das wichtigste zuletzt: IDEEN, WIE WIR HELFEN KÖNNEN.

• Das Elinor-Netzwerk hat eine deutschlandweite Bettenbörse ins Netz gestellt. Wenn Ihr freie Betten für Geflüchtete habt, könnt Ihr Sie dort unkompliziert melden. Bei Fragen vorab: hilfe@unterkunft-ukraine.de
• Auch Wunderflats hat eine ähnliche Aktion gestartet.
• Radioaktive Film (eine Produktionsfirma in Kiev, mit der ich gedreht habe) organisiert in Polen medizinisches Material und bringt es in die Ukraine. Wer mithelfen will, kontaktiert auf Insta Olga Kosenko @kosenko_itis oder spendet direkt auf PayPal.
• Mein ukrainischer Untermieter hat mir die NGO Nova Ukraine empfohlen.
• In Deutschland lebende Ukrainer betreiben eine die Berliner NGO Ukraine-Hilfe, die Sachspenden entgegen nimmt:  Besonders gefragt sind: Kleidung, Powerbanks, Lebensmittelkonserven, Taschen- und Kopflampen, Erste-Hilfe-Kästen und Campingöfen.

Weitere Infos zu Hilfemöglichkeiten hier.

Es wäre schön, wenn die Covid-Schurblis, die von der “wichtigsten Sache ihres Lebens” so besoffen waren, ihr Megaphon in den sozialen Medien nun auch nutzen würden, um endlich mal was wirklich Gutes zu tun für die Welt.

Stay safe!